Aus dem Leben des
Klosterdrachen Konradin

Kapitel V:
Welches Konradin plötzlich beendet

Konradin war mal wieder zu Besuch bei Laubertus. Er war vorher im Bienen­garten gewesen, wo er eine Bienen­wabe stibitzt hatte, und flog jetzt zwei Flügel­längen unterhalb von Laubertus im Kreis. Er hielt sich die Wabe über das Maul und stieß kleine Feuer­wölkchen aus. Geröstetes Bienen­wachs vermischt mit Honig war Konradins Lieblings­essen!
Bienen Falls ihr Euch fragt, wie Konradin sich die Honig­wabe beim Fliegen über das Maul halten konnte: Ganz einfach, der Kloster­drache war ein Meister im Rücken­fliegen! So konnte Laubertus von oben zusehen, wie die Bienen­wabe immer kleiner und Konradins Bauch immer runder wurde.

»Wenn Du so viele Waben weg­futterst, dann haben die Mönche am Ende gar nicht mehr genug Wachs für ihre Kerzen und ich muss hier im Dunkeln sitzen«, brummte Laubertus. »Ach, Firle­fanz!«, rief Konradin fröhlich, »Du sitzt doch gar nicht, Du hängst doch. Und Licht kann ich Dir machen!« Zum Beweis spuckte er eine besonders große Feuer­wolke, der Rest der Wabe zisselte zofort zusammen und Konradin hätte sich beinahe an dem großen Honig­wachs­klumpen verschluckt, der ihm ins Maul fiel. Als er ihn schließlich herunter­gewürgt hatte, erzählte er Laubertus wieder von der Kloster­kirche. Der Schluss­stein konnte ja nicht aus seiner Seiten­kapelle raus, um sie sich selbst anzusehen.

Gestern hatte Konradin die unterschiedlichen Kapitelle beschrieben und außerdem feierlich erklärt, dass es in der ganzen großen Kirche keinen schöneren Schlussstein gäbe als Laubertus.

Wand

»Also wenn ich jetzt vom Altar aus ins Kirchen­schiff fliege«, erzählte er weiter, »dann sind zwischen den Pfeilern links und rechts jeweils Bögen. Auf der linken Seite ist der erste rund, der zweite ist rund, der dritte ist rund, der...« – Laubertus gähnte heimlich – »...vierte ist rund, der fünfte ist spitz, der sechste ist spitz, der siebente ist spitz, der ach...« – Laubertus musste wieder gähnen – »...te ist spitz und der neunte ist spitz. Auf der rechten Sei...« Aber weiter kam Konradin nicht, denn Laubertus fuhr ihm mit lautem Blättergeraschel dazwischen: »Und warum kommen erst runde und dann spitze Bögen?« Konradin hielt inne und flatterte ein wenig mit seinen Flügeln, pustete die Altar­kerzen an und aus und an und aus und an und aus und an und nuschelte schließlich »Ochesist­schon­sospät­daserzähl­ichdir­morgen« und schwupps war er mit zwei Flügel­schlägen um die Ecke davongewirbelt.


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Die Darstellung der Bienen stammt aus einem Tierbuch (Bestiarium) des frühen 13. Jahrhunderts, British Library, Royal MS 12 C. xix, Folio 45r. Das Bild des Drachen Konradin basiert auf einer Abbildung aus dem Liber Psalmorum des Klosters Arnsburg, © Universitätsbibliothek Gießen, CC-BY-NC-SA 3.0, HS NF 45 fol 35v. Der Längsschnitt der Klosterkirche ist gedruckt in: Heinrich Walbe (Bearb.), Die Kunstdenkmäler des Kreises Giessen Bd. 2: Kloster Arnsburg mit Altenburg, Darmstadt 1919, Abb. 13.


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